INTERVIEW | „Es ist naiv zu glauben, man könne Putin mal soeben davon überzeugen, das Land zu verlassen“
Frau Strack-Zimmermann, was muss ein Soldat können, der einen Marder-Panzer aus deutscher Produktion bedienen soll?
Es kommt darauf an, was er im Panzer macht. Es gibt einen Kommandeur, einen Fahrer und einen Richtschützen, der die Waffe bedient. Hinten im Marder sitzen noch sechs Infanteristen. Alle müssen wissen, was sie tun. Einfach reinsetzen, losfahren – das geht nicht.
Ein Marder fährt auch nie allein, sondern mindestens in Einheiten von zwei bis vier Mardern. Die Mannschaften müssen sich koordinieren. Sonst endet das im Kampf dramatisch. Es braucht deshalb eine Ausbildung.
Die Ukraine fordert die Marder-Panzer immer wieder. Die Bundesregierung lehnte das ab. Jetzt soll es einen Ringtausch geben – der Nato-Partner Slowakei liefert der Ukraine Kampfpanzer vom Typ T-72 und erhält von Deutschland dafür Ersatz, unter anderem wohl auch Marder-Panzer.
Das ist sinnvoll. Panzer, die noch aus Sowjetzeiten stammen und bei östlichen Nato-Partnern im Einsatz sind, kann die Ukraine umgehend einsetzen. Unsere östlichen Nato-Partner bekommen dann neues Material von uns, welches sie bereits durch gemeinsame Nato-Übungen kennen oder in Zukunft lernen können.
Gibt es denn auch Panzer, die Deutschland direkt an die Ukraine liefern könnte?
Natürlich gibt es über Kampf - und Schützenpanzer hinaus noch anderes schweres Material. Zum Beispiel Brückenlege-, Berge- oder Pionierpanzer. Auch Rad angetriebene Panzer kommen in Frage, wie der Boxer oder Fuchs. Solche Fahrzeuge sollte die Ukraine direkt aus Deutschland bekommen. Allschutz-Transport-Fahrzeuge für den Krankentransport zum Beispiel können auch sehr hilfreich sein wie etwa der Dingo. Von diesem Typ sind gerade Fahrzeuge aus Afghanistan zurückgekommen. Sie können mit Maschinengewehren ausgestattet werden.
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Sie sagen sehr klar: In der Ukraine werden auch unsere deutschen Werte verteidigt. Was wäre, wenn die Ukraine fällt?
Die westliche freie Welt folgt einer regelbasierten Ordnung. Die Vereinten Nationen setzten sie bestenfalls durch. Sie wurden nach dem bestialischen zweiten Weltkrieg aufgesetzt, damit nie wieder der Stärkere sich qua Gewalt durchsetzt. Wenn dieser Grundsatz nicht mehr zählt und wir roher Gewalt und brutaler Expansionslust nichts mehr entgegenzusetzen haben, dann werden allein die 500 Millionen Europäerinnen und Europäern in großer Unsicherheit leben müssen.
Wenn wir zulassen, dass ein Wladimir Putin – und von seiner Sorte gibt es noch einige auf dieser Welt – Kraft militärischer Potenz Nachbarn überfällt, dann werden wir ein großes Problem in Europa und auf der Welt bekommen. Für unsere regelbasierte Ordnung müssen wir einstehen. Ja, auch kämpfen.
Hinter der Zögerlichkeit der SPD in Sachen schwere Waffen steht ja die Befürchtung, dass Deutschland in diesen Krieg mit hineingezogen werden könnte, wenn wir eine rote Linie überschreiten. Können Sie das nachvollziehen?
Wir dürfen uns nicht ständig von militärischen Szenarien beeinflussen lassen. Das Völkerrecht erlaubt, dass ein Land sich verteidigten darf, wenn es überfallen wird. Das Völkerrecht gesteht anderen Ländern zu, diesem Land beizustehen und Material zu liefern. Aber am Ende ziehen die rote Linie nicht wir, sondern die zieht Wladimir Putin. Er entscheidet, was er für richtig erachtet.
Es ist daher der Sache nicht dienlich, ständig zu überlegen, auf welchen Moment er wie reagieren könnte. Putin hält sich nicht an Regeln oder an unseren Wertekanon. Er bombardiert Krankenhäuser und wirft Bomben auf Flüchtende. Er führt bewusst einen asymmetrischen Krieg und tritt die Regeln des Völkerrechts mit Füßen. Das muss einem klar sein.
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100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, hohe Schulden: Wie stark ist die aktuelle Situation auch für Ihre Partei, die FDP, eine Belastungsprobe?
Natürlich hat sich Christian Lindner als Finanzminister das anders vorgestellt. Wie sollte er auch einen Krieg in Europa auf der Agenda haben. Die FDP legt Wert darauf, dass wir keine neuen Schulden machen, keine Steuern erhöhen, die Menschen im Land entlasten und dass die Schuldenbremse greift, weil sonst Tür und Tor geöffnet werden für Ausgaben aller Art.
Aber auch die Grünen mussten schwere Entscheidungen treffen. Herr Habeck wollte als Klimaminister die Erneuerbaren Energien vorantreiben und muss jetzt fossile Brennstoffe in Ländern kaufen, die nicht zu seinen Traumzielen gehören. Jeder von uns in der Ampel muss der neuen Realität ins Auge schauen. So ist regieren.
Interview von Maria Fiedler